Zukunft

Interview mit Zukunftsforscher Klaus Burmeister

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Deutschland, deine Zukunft: Gesellschaft, Arbeit, Innovation im Mittelstand

Klaus Burmeister ist einer der renommiertesten Zukunftsforscher in Deutschland. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen und Veränderungen, die durch neue Technologien und aktuell insbesondere als Folge der Digitalisierung entstehen.

Ich habe mit ihm gesprochen. Entstanden ist daraus ein fundiertes Interview in 3 Teilen zu den folgenden Themen:

Teil 1: Zukunftsszenarien für Deutschland – Die Initiative D2030

Teil 2: Deutschlands Arbeitswelt von morgen

Teil 3: Der deutsche Mittelstand im Schatten der Digitalisierung

In der Vergangenheit hat Klaus Burmeister u.a. die Beratungsagentur Z_punkt The Foresight Company mitbegründet und war Mitherausgeber der Zeitschrift Zukünfte. Im Jahr 2014 gründete er das foresightlab in Berlin, seit 2016 war er Geschäftsführer der gemeinnützigen Initiative D2030 und jetzt ist er Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „D2030“.

Teil 1: Zukunftsszenarien für Deutschland – Die Initiative D2030

Alex Hannappel: Herr Burmeister, was fasziniert Sie an der Zukunft?

Klaus Burmeister: Mich fasziniert an der Zukunft, dass sie immer überraschend ist, dass sie uns im Grunde genommen einen Möglichkeitsraum eröffnet, dass wir mitgestalten können, was auf uns zukommt und immer wieder eine Projektionsfläche ist, für faszinierende Ideen und Möglichkeiten lebenswerter Zukünfte. Das ist eigentlich das, was für mich meine Profession bedeutet. Teilhabe an Veränderungen – und sie mit zu gestalten. Das ist eben nicht nur meine Profession, sondern mein Leben.

Alex Hannappel: Sie sind Begründer und Geschäftsführer der Initiative Deutschland 2030 (D2030). Können Sie kurz umreißen, worum es dabei geht und was Sie dazu bewogen hat, das Ganze ins Leben zu rufen?

Klaus Burmeister: Ja, sehr gerne. Im Grunde genommen ist es eine etwas längere Geschichte. Sie beginnt 2011. Damals haben wir eine Studie für den Bundesverband der Deutschen Industrie gemacht. Der Gegenstand waren Disruptionen, die tauchten damals auf. Die Frage war, inwieweit und durch welche Disruptionen unsere Wertschöpfung, unsere Wirtschaft, einzelne Unternehmen und Branchen verändert werden. Heraus kam eine auch heute noch interessante Studie, die Deutschland 2030 hieß. Was aber fehlte, das hat der Prozess mit vielen Beteiligten gezeigt, war ein gemeinsames Bild und Verständnis davon, was zukünftig auf Deutschland zukommt und es ausmachen soll.

Die Idee, diese eklatante Leerstelle auszufüllen, hat mich danach nicht mehr losgelassen. Ich dachte: Es ist doch schon verwunderlich, dass es keine Szenarien für Deutschland gibt. Was es gibt sind Studien, die sich mit einer Branche, einer Technologie oder Region beschäftigen. Meine Idee habe ich mit verschiedenen Kollegen und Freunden besprochen, die die Idee alle gut fanden. Daraus ist dann die Initiative D2030 erwachsen. Es hat dann doch noch eine ganze Weile gedauert, genau bis 2016, bis wir auch Unternehmen und Organisationen gefunden haben, die uns dann dabei unterstützt haben, diesen Prozess möglich zu machen. Machen Sie mal einen potentiellen Geldgeber klar, wenn alle Ergebnisse Open Source veröffentlicht werden sollen. Aber es hat geklappt!

D2030 hat im Ergebnis etwas innovatives zustande gebracht, nämlich erstmals für Deutschland, in einem politisch und wirtschaftlich unabhängigen Prozess, Szenarien gemeinsam in einem partizipativen Ansatz zu entwickeln. In drei Beteiligungsrunden konnten Interessierte sich online an dem inhaltlich anspruchsvollen Prozess der Szenariobildung und -bewertung beteiligen. Zum Abschluss haben wir die Ergebnisse in einer Zukunftskonferenz in Berlin zur Diskussion gestellt. Alle Ergebnisse haben wir über die Webseite (Open Source) zugänglich gemacht.

Herausgekommen sind acht Szenarien, die eine Landkarte für die Zukunft von Deutschland 2030 beschreiben. Sie stellen in ihrer vernetzten Herangehensweise eine gute Orientierung für Politik und Gesellschaft dar. Die Szenarien können helfen die Frage zu beantworten, in welche Richtung sich das Land entwickelt bzw. sich entwickeln sollte. In einer Online-Befragung erfolgte auch eine Bewertung der Szenarien im Hinblick auf ihre Wünschbarkeit. Demnach decken die drei „Neue Horizonte-Szenarien“ den Wunschraum für Veränderung ab. Ein genauer Blick auf diese Szenarien lohnt sich, gerade auch für den aktuellen Zukunftsdiskurs (https://www.d2030.de/wp-content/uploads/2017/07/D2030_Szenarien-Booklet.pdf).

Herausgekommen sind acht Szenarien, die eine Landkarte für die Zukunft von Deutschland 2030 beschreiben.

Das Ganze haben wir als ein Angebot und eine Einladung für einen qualifizierten und konstruktiven Dialog über Zukunftsperspektiven verstanden. Wir nennen es inzwischen einen transformativen Zukunftsdiskurs. Alle Interessierten können die Szenarien für ihre jeweils eigene Praxis nutzen, was auch passiert ist. Wir haben darüber hinaus unsere Szenarien gezielt an Vertreter aus Politik und Wirtschaft versandt. Die Reaktionen sind jetzt nicht so großartig, wie wir uns das am Anfang erhofft haben. Aber es gab und gibt vielfältige Kontakte und Gespräche, ja, selbst bis zu Frau Kramp-Karrenbauer. Wir wurden wahrgenommen und ich bin sicher, dass unsere Szenarien nach wie vor eine fundierte Zukunftsanalyse für ein Land im Umbruch bieten.

Danach haben wir die Szenarien auch noch methodisch und inhaltlich ausführlicher in dem Buch: „Deutschland neu denken – Acht Szenarien für unsere Zukunft“ beschrieben und publiziert. Wenn man sich mit Zukunft beschäftigt, hört ja der Prozess mit der Fertigstellung der Szenarien nicht einfach auf. Aus der Initiative ist jetzt ein Verein geworden, der das Jahr 2020 zu einem Zukunftsjahr machen möchte. Starten möchten wir in der Mitte des Jahres.

Wir wollen von den „Neue Horizonte-Szenarien“ ausgehend, von 2020 auf 2030 schauen. Wir wollen mit allen die Lust dazu haben, die Frage stellen und sie auch beantworten: Was wäre notwendig, damit dieses Land zukunftsfester wird? Welche Ideen existieren schon? Welche Konflikte sind zu erwarten? Was sind die Pfade in gewünschte Zukünfte? Wer Interesse hat, daran mitzuwirken, der kann sich bei uns melden. Wir möchten dazu gezielt Jugendliche, Unternehmen, Verbände, Vereine und Städte ansprechen. Wir bieten die Szenarien und innovative, methodische Ansätze für eine co-creative Entwicklung für Zukünfte. Die Auswahl der Themen bestimmen die Personen und Gruppen natürlich selbst.

Wir möchten am Ende alle Ergebnisse bündeln und in einem großen Zukunftskongress diskutieren und gute Ideen auswählen und sie bestenfalls, dann auch weiter fördern und unterstützen. Dies möchten wir nicht allein, sondern mit vielen anderen Organisationen tun. Uns ist es wichtig, dabei zu helfen, einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen, der die Menschen und Organisationen zu Mitgestaltern wünschenswerter Zukünfte macht und dabei auch neue Wege, experimentelle Wege zu gehen. Die Themen liegen auf der Hand, sie sind Teil der Szenarien, aber alle, die sich beteiligen wollen, entscheiden allein, welche Akzente ihnen wichtig sind.

Uns ist es wichtig, dabei zu helfen, einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen, der die Menschen und Organisationen zu Mitgestaltern wünschenswerter Zukünfte macht und dabei auch neue Wege, experimentelle Wege zu gehen.

Alex Hannappel: Ein zentraler Gründungsgedanke von D2030 im Jahr 2016 dabei war, dass viele Menschen das Gefühl haben, Deutschland hangelt sich von Krise zu Krise und es wird wie im Nebel auf Sicht gefahren. Ich fand dieses Bild eigentlich ganz schön, als ich das auf der Webseite gelesen habe.

Klaus Burmeister: Ja genau.

Alex Hannappel: Denken Sie, dass das heute immer noch zutrifft oder hat sich dieses Gefühl vielleicht sogar noch verstärkt? Und ist es nicht eigentlich Aufgabe der Politik, solche Zukunftsbilder, solche Zukunftsvisionen zu entwickeln?

Klaus Burmeister: Das kann jeder anhand der Meldungen, die er in den letzten Monaten mitbekommen hat, sicher selbst beurteilen. Der politische Handlungsdruck, der auf diesem Land liegt, hat sich weiter verstärkt. Wir merken das in der verschärften politischen Auseinandersetzung im Zusammenhang der Landtagswahlen, deren Ergebnisse rechtspopulistischen Kräfte gestärkt haben, mit zum Teil deutlich rechtsradikalen Tendenzen.

Die GroKo zeigt sich eingeschränkt politisch handlungsfähig: ihre Entscheidungen zum Klimapaket, zum Kohlausstieg oder in der Verkehrspolitik sind, vorsichtig ausgedrückt, wenig ambitioniert. Eine eklatante Zukunftsblindheit der politischen Parteien, wie wir finden, die zaghaft eher den Minimalkonsens suchen, und es fehlen Ideen und ein klarer Gestaltungswille.

Eine eklatante Zukunftsblindheit der politischen Parteien, wie wir finden, die zaghaft eher den Minimalkonsens suchen, und es fehlen Ideen und ein klarer Gestaltungswille.

In der deutschen Automobilindustrie zeigen sich inzwischen deutliche Krisenerscheinungen. Es gibt Arbeitsplatzabbau und schlechte Absatzzahlen. Wir haben eine politisch beschlossene Energiewende, die nicht nur beim Thema Wind eine Flaute erlebt.

Der beschlossene Ausstieg aus der Kohle soll jetzt nach einem Jahr, ohne starkes Signal für eine energie- und damit klimapolitische Wende, kommen. Beim prominenten Klimathema zeigt sich die Bundesregierung zaghaft. Aber wir haben auch eine neue soziale Bewegung, die quasi aus dem Nichts entstanden ist: Fridays For Future. Überdeutlich machen die Jugendlichen die Zukunft zu ihrem Thema und setzen Politik und Wirtschaft unter Rechtfertigungszwang, wie zuletzt den Siemens Chef, Jo Kaeser.

Wir haben insgesamt – das war ja Ihre Frage – keine Entspannung, sondern eine weiter zugespitzte Situation, auch auf dem Arbeitsmarkt oder im Bereich der Bildung. Ökonomisch deuten sich rezessive Tendenzen an und die Politik verteidigt die schwarze Null. Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Umbruchphase, in der wir über vieles – von der Pendlerpauschaule über die Düngung der Böden und die Massentierhaltung, unser Müllverhalten oder der Frage, welche Produkte zukünftig unsere Wirtschaftsleistung erbringen sollen – grundsätzlich neu nachdenken müssen.

Wir stehen vor Entscheidungen, die dieses Land zukunftsfester machen müssen. Aber ein offener Zukunftsdiskurs darüber findet nicht statt. D2030 möchte das ändern. Es gibt keinen großen Masterplan für die Zukunft – kann es auch nicht geben. Aber es gibt Hinweise auf Handlungsbedarfe, ob das die mangelhaften digitalen Infrastrukturen sind, fehlende Übergänge in eine neue, intermodale, vernetzte und nachhaltige Mobilität oder eine klimaneutrale Energieversorgung.

Es gibt auch Anzeichen der Hoffnung, die in eine richtige Richtung weisen, wenn man sie denn wahrnimmt. Die Entscheidung der EU, in die Batteriezellenförderung einzusteigen, in deren Folge auch BASF in Schwarzheide den Einstieg überlegt und andenkt für 500 Millionen ein Batteriezellenwerk aufzubauen, ist so ein Signal. Verbunden mit der geplanten Ansiedlung von Tesla in Brandenburg, würde sich die Chance für einen struktur- und industriepolitischen Paradigmenwechsel eröffnen. Brandenburg als Kernland für saubere Energie und Mobilität, wer hätte das gedacht? Also, es gibt bei aller berechtigten Kritik immer auch Hoffnungsschimmer, die brauchen wir auch.

Brandenburg als Kernland für saubere Energie und Mobilität, wer hätte das gedacht?

Und meine letzte Bemerkung zu Ihrer Frage, ob die Politik dafür verantwortlich ist. Hier bin ich zurückhaltend, ein einseitiges Politik-Bashing ist zu einfach. Die Republik ist insgesamt träge geworden. Politik hat Verantwortung, sie muss natürlich einen Rahmen setzen, sie muss Gestaltungsräume eröffnen. Politik allein kann die notwendigen Zukunftsentwürfe nicht liefern, aber sie sollte Beteiligungsprozesse ermöglichen: Bürger, Institutionen für eine lebhafte Demokratie gewinnen und sie einladen, an der Mitgestaltung der Zukunft, gerne auch experimentell, mitzuwirken. Das tut sie zu wenig. Insofern brauchen wir eine aktive Zivilgesellschaft, die wie die Generationen Stiftung, die Scientists for Future oder AlgorithmWatch zeigen, es gibt Ideen, es gibt Handlungsbedarf und wir tun was.

Teil 2: Deutschlands Arbeitswelt von morgen

Alex Hannappel: Sie beschäftigen sich auch intensiv mit den Auswirkungen disruptiver Technologien auf unsere Wirtschaft und auf die Gesellschaft. Welchen Einfluss, wird Ihrer Meinung nach, die fortschreitende Digitalisierung und vor allem das Thema Künstliche Intelligenz auf unsere Arbeitswelt hier in Deutschland haben?

Klaus Burmeister: Das ist ein großes Thema. Ich fange mal damit an, dass wir in den nächsten Jahren nicht mit einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung rechnen, so die Einschätzung aller wissenschaftlichen Analysen. Das ist jetzt bitte aber keine Entwarnung. Die Analysen deuten weiter darauf hin, dass wir bis 2030 einen Strukturwandel bei Berufen und Tätigkeiten erleben werden. So sollen rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen und ca. 2,7 Millionen neue entstehen. Allein wenn man sich das mal vergegenwärtigt, stellen sich eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen, auf die wir uns vorbereiten und für die wir bald Entscheidungen treffen müssen: Was passiert mit den Menschen, die nicht mehr benötigt werden? Welche Tätigkeiten werden wegfallen? Welche neuen Arbeits- oder Tätigkeitsfelder werden benötigt? Wer bildet sie aus? Wie und wer bewältigt diesen Umbruch?

Man muss sich klar darüber sein, dass dieser prognostizierte Wandel innerhalb von nur zehn Jahren stattfinden soll. Und wenn wir uns dann das Bildungssystem und den ganzen Bereich der Aus- und Weiterbildung mit dem dualen System anschauen, schleichen sich Zweifel ein, wie der Wandel gelingen kann. Das Bildungswesen war immer und ist struktur-konservativ.

Man muss sich klar darüber sein, dass dieser prognostizierte Wandel innerhalb von nur zehn Jahren stattfinden soll.

Wir müssen Ansätze finden, wie wir schneller, auch unternehmens- und bildungsträgerübergreifend, ins Handeln kommen. Wie Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Städte, Gemeinden und Regionen dezentral zusammenarbeiten müssen, um angemessen zu reagieren. Sicher nicht mehr im Sinne von „Wir machen jetzt erstmal einen Lehrplan“.

Aus- und Weiterbildung wird viel stärker situativ vor Ort, am Arbeitsplatz erfolgen. Wir werden entscheiden müssen, welche Qualifikationen noch traditionell vermittelt werden müssen. Wir brauchen den kontinuierlichen Austausch darüber, welche Fähigkeiten benötigt werden.

Der Arbeitsmarkt erlebt also binnen kurzer Zeit erhebliche Strukturumbrüche. In den fortlaufenden Berichten des IAB, ZEW und BIBB, die auf modellgestützten Berechnungen zur Entwicklung der Arbeitswelt durch Digitalisierung basieren, wird herausgehoben, dass wir uns immer noch in einer frühen Phase der Digitalisierung befinden. Die umfängliche Integration in die Arbeits-und Automationsprozesse steht uns noch bevor. Das ist auch meine These. Und das wird dann nochmal den Handlungsruck erhöhen.

Und dann möchte ich noch auf Ihren letzten Aspekt, die Rolle der Künstlichen Intelligenz, eingehen. Es geht in dieser Phase der Automatisierung um die Automatisierung von Wissen. Das ist sozusagen das Kennzeichen dieser neuen Automatisierungswelle. Und das heißt eben auch, dass auch bisher Hochqualifizierte betroffen sein werden, also auch Entwickler, Manager, Ingenieure, aber auch Designer, Ärzte oder Rechtsanwälte.

Und das heißt eben auch, dass auch bisher Hochqualifizierte betroffen sein werden, also auch Entwickler, Manager, Ingenieure, aber auch Designer, Ärzte oder Rechtsanwälte.

Derzeit unterstützen Maschinenlernen, Deep Learning und optimierte Algorithmen einerseits den vorhandenen Trend zur Automation und andererseits werden neue Fragen für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen zwischen Menschen und Algorithmen aufgeworfen. Es geht hierbei nicht allein um Fragen der Substitution von Tätigkeiten, sondern auch um die Entfaltung neuer Produktivitätspotentiale durch die Interaktion. Die damit verbunden neuen Fragestellungen stehen noch am Anfang. Mit welcher Perspektive auf eine Steigerung der Produktivität, durch die Interaktion von Mensch und Maschine, geantwortet werden kann, darüber wäre zu reden.

Was wir brauchen, wäre sicher ein Entwurf für eine Arbeitswelt jenseits der klassischen Arbeitsgesellschaft. Auch wäre eine vorausschauende Gesellschaftspolitik notwendig, die den Menschen dauerhaft ein Auskommen und eine Tätigkeit garantiert, auch wenn die Erwerbsarbeit – langfristig gesehen – weniger wird.

Konkret könnte das heißen, wenn im Jahr 2030 der Rentenvertrag ausläuft, müsste ein neuer bereits eine Arbeitswelt im Umbruch mitdenken und Klauseln enthalten, die die bisherige Praxis sozialer Absicherung hinterfragt, überprüft und neue erprobt. Das ist ein großes und komplexes Thema, das für mich zu der wichtigsten Zukunftsaufgaben gehört.

Alex Hannappel: Viele Experten und Meinungsführer auf diesem Gebiet sprechen bereits von der Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens oder wie auch immer man das nennen mag. Ich höre bei Ihnen raus, dass Sie so etwas auch befürworten würden oder man müsste darüber zumindest nachdenken?

Klaus Burmeister: Meine Einschätzung habe ich dargelegt. Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem Prozess tiefgreifender struktureller Veränderungen. Aber nicht nur die Arbeitswelt, auch die Wirtschaft und die Unternehmen und auch deren Organisation und Geschäftsmodelle unterliegen insgesamt der digitalen Transformation und deren Folgen.

Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem Prozess tiefgreifender struktureller Veränderungen.

Wenn es also so ist, dass die Quantität und Qualität von Arbeit sich erheblich verändert, dann müssen wir auch Fragen über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme stellen, ein sehr erfolgreich groß gewordenes Kind der Nachkriegszeit. In diesem Zusammenhang werden wir auch, ob das jetzt Bürgergeld oder bedingungsloses Grundeinkommen heißt, Ideen und Konzepte offen diskutieren und erproben müssen, die mit dem Wandel umgehen.

Es werden bereits Tarifverträge von der IG Metall oder der IG BCE abgeschlossen, die nicht mehr Lohn, sondern die das Recht auf Weiterqualifizierung beinhalten. Es wurde bereits über ein Chancenkonto diskutiert, was jeden Bürger mit einem Betrag x ausstattet – diskutiert wurde der Betrag von 20 000 Euro – damit er selbstverantwortlich die Gestaltung seines Weiterentwicklungsprofils in die Hand nimmt.

Wir werden viele solcher Instrumente erproben müssen und schauen, was wirklich greift und welches für wen passt. Das bedingungslose Grundeinkommen steht sozusagen in diesem gesamten Repertoire von Möglichkeiten. Wie sich die soziale Marktwirtschaft schon zur öko-sozialen weiterentwickelt hat, werden wir uns ständig verändern und anpassen müssen, auch neue, konkurrierende Konzepte werden dazu kommen müssen. Ganz zum Schluss dürfen wir natürlich nicht die Bewältigung des Klimawandels vergessen, also die nächste große Menschheitsfrage. Wie können wir Ökologie und die soziale Frage zu einem neuen tragfähigen Fundament verbinden?

Das bedingungslose Grundeinkommen steht sozusagen in diesem gesamten Repertoire von Möglichkeiten.

Teil 3: Der deutsche Mittelstand im Schatten der Digitalisierung

Alex Hannappel: Der deutsche Mittelstand gilt als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Vor welchen Herausforderungen sehen Sie den Mittelstand angesichts der Tatsache, dass mit der Digitalisierung immer schneller neue Technologien hervorgebracht werden und das vor allem von großen Konzernen aus den USA oder aus China beispielsweise.

Klaus Burmeister: Ja, ich finde das eine sehr wichtige Frage, die hat mich schon seit Jahren beschäftigt, beispielsweise seit 2008. Damals haben wir in einem Forschungsprojekt des Forschungsministeriums die Bedeutung der Innovationsfähigkeit für KMU untersucht.

Aktuell zeigen Analysen, wie in den jährlichen EFI-Gutachten (Expertenkommission Forschung und Innovation) oder auch aktuell eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die Innovations-Aktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen sind seit zwei Jahrzehnten rückläufig. Die Zahl von Produktinnovationen ist – das letzte was ich gelesen habe – von 2008 bis 2014 um rund 25 Prozent gesunken. Das sind klare Indizien, die darauf hinweisen, dass der Mittelstand nicht mehr per se das innovative Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist. Es gibt immer noch viele positive Gegenbeispiele, aber insgesamt weist der Trend in eine andere Richtung.

Das sind klare Indizien, die darauf hinweisen, dass der Mittelstand nicht mehr per se das innovative Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist.

Das verdeutlicht auch nochmal die These eines technologiegetriebenen Umbruchs. Mittelständler sind fundamentaler Bestandteil unserer Industrienation. Sie sind stark von der deutschen Kernbranche schlechthin, der Automobilindustrie, als Zulieferer abhängig. Wie kann sich ein Zulieferer auf radikale Veränderungen in Richtung Elektromobilität oder neuer schadstoffarmer Motoren vorbereiten? Man sieht, dass sich bei Schaeffler, Continental oder Bosch einiges tut. Aber für Mittelständler ist es schwieriger Entscheidungen zu treffen, die eine hohe Komplexität und Risikofreude erfordern und viel Unsicherheit beinhalten. Wer kann schon verlässlich abschätzen, in welche Richtung und mit welcher Dynamik sich zukünftig die Mobilität entwickeln wird.

Allein sich aktiv aus den erfolgreichen Routinen vergangener Jahre zu befreien, ist schon eine Herkulesaufgabe. Letztlich brauchen wir wieder den risikobereiten und sozial verantwortlichen Unternehmer, der bereit ist, innovativ Chancen zu ergreifen, die sich aus den disruptiven Veränderungen im Mobilitätsbereich ergeben und dabei auch neue Handlungsfelder in den Blick zu nehmen.

Neue Produktionstechniken werden beispielsweise immer marktnäher. Hier meine ich die additiven Fertigungsverfahren, die neue Ansätze dezentraler und vernetzter Produktion ermöglichen. Airbus hatte sich hier früh engagiert. Aber längst haben die Fortschritte des 3D-Drucks auch die Chemie-, die Medizintechnik, die Bekleidungs- und auch die Schuhindustrie erreicht, ermöglichen sie doch eine maßgeschneiderte Kleinserienproduktion am Standort Deutschland.

Lange Rede kurzer Sinn: Der innovative Mittelstand ist nach wie vor eine unverzichtbare Stütze der Wirtschaft. Man sollte jedoch überlegen, wie man den mittelständischen Unternehmer stärker motivieren kann, den Wandel aktiv mitzutragen und zu gestalten. Da werden auch stärker als bisher die Verbände gefordert sein. Hier vermisse ich, vom VDMA, Bitkom oder auch BDI, mehr direktes Engagement. Die Verbände müssten im Grunde genommen zu Innovation Labs werden, die ihre Mitglieder zum Wandel befähigen. Am Besten wäre es, sie würden die künftigen Nutzer gleich mit integrieren und auch betroffene Städte und Regionen, die Neues erproben wollen.

Auch könnten Cross Innovation-Ansätze sinnvoll sein. Hierbei könnten kleine und mittlere Unternehmen gemeinsam branchenübergreifend, zum Beispiel an der Entwicklung von Roadmaps für ausgewählte Technologie- oder Bedarfsfelder, zusammenarbeiten. Allein würde es sie überfordern. Aber gemeinsam in einem strukturierten Prozess zu analysieren, was kommt in den nächsten drei, fünf oder zehn Jahren auf uns zu: ökonomisch, technologisch, durch Kundenbedürfnisse oder trendgetrieben.

Kommt tatsächlich das Zeitalter des Wasserstoffs oder von alternativen Treibstoffen oder doch eher die Elektrofahrzeuge und eine vernetzte intermodale Mobilität auf uns zu? Wie sind wir aufgestellt, welche Produkte werden benötigt und wie sind die Marktchancen? Bei den konkreten Produktentwicklungsfragen würde man entweder Produktpartnerschaften bilden können oder sich als Einzelunternehmen allein mit neuen Produkten beschäftigen.

Die Frage ist doch die: wie kann man kleine und mittlere Unternehmen mitnehmen, nicht nur über das letztlich großindustriell geprägte Leitprojekt „Industrie 4.0“, sondern über Ansätze, die die Bedarfe und Notwendigkeiten kleiner Unternehmen direkt im Blick haben. Viele KMU werden sonst große Probleme haben, die Umbrüche zu meistern.

Wir brauchen unverzichtbar einen innovativen Mittelstand. Bei dem Thema komme ich auch wieder auf die „Neuen Horizonte-Szenarien“ der Initiative D2030 zurück. Die Szenarien haben den Bedarf nach neuen Ansätzen für Innovation unterstrichen. Wenn die Wirtschaftsförderungen vor Ort sich nicht mehr schwerpunktmäßig auf Ansiedlungen konzentrieren würden, sondern den KMU dabei helfen, dass die Standortbedingungen verbessert werden, könnte die Förderung von qualifizierten Arbeitskräften, könnten die Nähe zu wissenschaftlichen Einrichtungen oder zu Angeboten einer überregionalen Kooperationen mit anderen KMU und Hochschulen deren Innovationskraft stärken.

Wie bekommen wir eine Innovationskultur hin, die die Region als Ökosystem begreift, so dass es aus der Kooperation der Akteure zur Co-creation neuer Produkte kommt oder zur Entwicklung regionaler Lösungen auf dem Feld der Aus- und Weiterbildung.

Zugegeben, ein weitreichendes Themenfeld, aber, da bin ich mir sicher, wir werden die drängenden Herausforderungen nur bestehen, wenn wir Neues tun, es erproben und mit den Prozessen lernen. Ja, das hat Appellcharakter, aber noch ist der notwendige Ruck nicht zu spüren.

Und dann haben wir ja noch die Diskussion um die schwarze Null. Wir haben als Industriegesellschaft eine ganze Menge an infrastrukturellen Aufgaben, viele davon haben wir schleifen lassen. Das aktuelle beschlossene Investitionspaket für die Bahn ist eine Reaktion darauf. Der nach wie desaströse Zustand der digitalen Infrastruktur ist an dieser Stelle zu nennen, ein Zustand, der einem Land ohne Rohstoffe, verdammt zur Innovation, unwürdig ist. Wir müssen – und ich bin sicher wir werden – weiter über die schwarze Null diskutieren. Bei den Wirtschaftswissenschaften deutet sich immer stärker an, bis hin zum Institut der deutschen Wirtschaft, dass massive Investitionen in zukunftsfähige Infrastrukturen und das Bildungssystem als wichtige Grundvoraussetzung befürwortet werden.

Der nach wie desaströse Zustand der digitalen Infrastruktur ist an dieser Stelle zu nennen, ein Zustand, der einem Land ohne Rohstoffe, verdammt zur Innovation, unwürdig ist.

Alex Hannappel: Der Mittelstand wird oft assoziiert mit bestimmten stärken und Tugenden, die er vermeintlich hat. Auf welche dieser Stärken sollten denn Mittelständler setzen, um da bestehen zu können, vor allem gegen große Konzerne. Gibt es Eigenschaften, die der Mittelstand für sich als Vorteil nutzen könnte?

Klaus Burmeister: Ich würde erst mal sagen, ihre schlanke Struktur und größere Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt. Da gibt es eben keinen den Anteilseignern verpflichteten Aufsichtsrat und kein Manager auf Zeit. Da entscheidet – und das hat den Mittelstand groß gemacht – die Unternehmerpersönlichkeit. Zur Stärke des Mittelstandes gehören schnelle Entscheidungen, die sehr tief in Spezialbereiche reingehen. Das müssen wir wieder fördern und ein Unternehmertum. Wir brauchen wieder den risiko-affinen Entrepreneur, den Unternehmenslenker, den Geschäftsführer im Mittelstand, der sieht, aha, da gibt es Chancen und die ergreife ich.

Wir müssen davon lernen, wie es die Erfolgreichen tun, gerade auch die agile Start-up-Szene, die Hoffnung macht. Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Dazu braucht man Orientierung und auch eine Politik, die Räume für Neues öffnet und die nötige langfristige Investitionssicherheit sichert. Und wir brauchen auch eine innovationsoffene Gesellschaft und Kultur, die solches Tun honoriert.

Es deutet sich aus meiner Sicht – vielleicht noch verhalten – ein solcher Wandel an, auch aus strukturpolitischen Notwendigkeiten oder der Einsicht einer Transformation der Wirtschaft in eine klimaneutrale Produktion und Distribution. Die Stichworte lauten: Kohlekompromiss, abgehängte ländliche Regionen oder der ambitionierte Green Deal der neuen Europäischen Kommission.

Alex Hannappel: Das heißt man müsste auch als Mittelständler wieder mehr lernen strategischer, vorausschauender zu denken also nicht nur zu reagieren. Wenn man als Zulieferer in der Automobilindustrie unterwegs ist, dann reagiert man oft nur auf das, was der große OEM gerade möchte.

Klaus Burmeister: Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Es reicht nicht mehr der Blick nur auf den nächsten Schritt, auf eine kleine Prozessinnovation. Wir brauchen ein Nachdenken im Voraus.

Es reicht nicht mehr der Blick nur auf den nächsten Schritt, auf eine kleine Prozessinnovation. Wir brauchen ein Nachdenken im Voraus.

Jeder kleine Mittelständler hat die Möglichkeit dazu. Er kann und sollte dazu seine Mitarbeiter einbinden. Es könnte ganz einfach damit beginnen, dass man sich einmal im Jahr mit einem ausgewählten Team von Mitarbeitern zusammensetzt, Fragen stellt und sie beantwortet. Es könnte Fragen wie diese sein: Wie bewertet ihr unser Produkt? Wie steht unser Produkt im Wettbewerb dar? Wer sind unsere Konkurrenten? Wie wird sich in den nächsten 3 bis 5 Jahren der Markt verändern? Sind wir darauf vorbereitet? Brauchen wir eine Produktinnovation?

Das ist ein Tages-Workshop, dazu braucht es im ersten Schritt noch keinen Berater. Am Ende wird resümiert. Wenn Innovationen erforderlich sein sollten, dann könnte folgende Fragen sinnvoll sein: Was erwarten die Kunden? Was könnten wir, beispielsweise als Maschinenbauer, einbringen, als jemand der Bleche biegen kann, der drehen kann? Was sind zukünftig die Qualifikationen? Brauchen wir mehr digitale Kompetenz? Können wir das alleine bewältigen? Können wir vielleicht mit den Unternehmen aus der Region zusammenarbeiten? Brauchen wir eine Uni als Innovationspartner?

In einer Zeit von Umbrüchen brauchen wir mehr vorausschauende, strategische und innovativen Zugänge. Das kann jeder Mittelständler mit eigenen Mitteln in Angriff nehmen, davon bin ich fest überzeugt.

Alex Hannappel: Herr Burmeister, das war ein wunderbarer Schlusssatz. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch.

Alex Hannappel Portrait

Alex Hannappel

Innovationsgestalter für den Mittelstand

Mich fasziniert, wie motivierte Menschen gemeinsam aus einer einfachen Idee etwas Physisches und ganz Konkretes schaffen können – etwa ein Produkt, das einen echten Nutzen und damit einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft liefert.
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